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Berthold Ottos Schule
Schon nach kurzer Zeit
wurde Berthold Ottos "Hauslehrerschule" in
seiner Wohnung an der Dürerstraße zu klein.
Das nach seinen Wünschen gebaute
und 1911 bezogene Schulhaus an der Holbeinstraße
war ein Pavillonbau. Neben ihm lagen der Rasenplatz,
der Sportplatz, der Schulgarten, in dem jedes Kind sein
Beet hatte, und das Wäldchen mit Bänken für
Unterricht im Freien in der warmen Jahreszeit. |
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Die Unterrichtsräume lagen zu
beiden Seiten des Mittelganges des flachen Gebäudes.
Sie hatten Tische, Stühle, z.T. auch Wandbänke,
aber keine hintereinander aufgereihten festen Bänke
oder Pulte, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch
ungewöhnlich war.
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Zwei Räume konnten durch Öffnung
einer Flügeltür zu einem großen Raum
erweitert werden, in dem der Gesamtunterricht und andere
größere Veranstaltungen durchgeführt
wurden. Die Schule hatte 60-80 Kinder im Alter von 6-16,
zeitweise bis zu 19 Jahren.
Die Schule
war nicht in Klassen unterteilt, sondern der Unterricht
fand in Kursen und als Gesamtunterricht
statt. |
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Sie war
Gesamtschule insofern als sie sowohl die Kinder der
ersten Schuljahre umfasste wie auch die älteren
Jahrgänge, zum Teil der Bildungsstufe der Höheren
Schule entsprechend. Das Abitur konnte nicht abgelegt
werden, dazu war für die letzte Klasse der Wechsel
in eine Schule mit Abiturberechtigung erforderlich.
Da Schulangst nach Ottos Meinung wahres
Lernen unmöglich machte, gab es keine Zwangsthemen,
keine Zensuren, keine Versetzungen und kein Sitzenbleiben.
Leistungsschwächere Schüler wurden geschützt
und getröstet, wenn möglich in Fördergruppen
zusammengefasst, wie denn ja auch Interessengruppen
gebildet wurden, um schneller auffassenden Schülern
gerecht zu werden. Alle aber gehörten zu der
„Gemeinde”, die sich im Gesamtunterricht
zusammenfand.
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Im Gesamtunterricht wurden Themen
besprochen - Otto schloss grundsätzlich kein Thema
aus, das von Schülern vorgetragen wurde -, die
in den Lehrplänen der staatlichen Schulen nicht
enthalten waren. So waren Berichte über Theaterbesuche
häufig, was schließlich zu einem regen Theaterleben
in der Schule führte. Gemeinsame Wanderungen -
es war ja die Zeit der Jugendbewegungen - wurden geplant
und durchgeführt, kurz: die Schulgemeinsamkeit
wurde oft noch in der so genannten „Freizeit”
fortgesetzt.
Im Gesamtunterricht ergaben sich bald
Wünsche nach Vertiefung einzelner Themen und so
entstand auch Fachunterricht. Der Gesamtunterricht blieb
aber als letzte Stunde des Schultages bestehen: Hier
traf sich die kleine Schulgemeinde, um alle berührenden
Themen zu besprechen. Toleranz gegenüber anderen
Meinungen und einzelnen Religionen waren hier selbstverständliches
Gesetz. |
Im
Gesamtunterricht entstand auch der Wunsch eine eigene
Verwaltung aufzubauen, eigene Gesetze zu erarbeiten,
ja schließlich auch ein „Gericht”,
das kleinere Verstöße gegen die selbstgemachte
Schulordnung ahndete. So entstand ein kleiner Staat,
der natürlich demokratisch war, wurde doch gewählt
und konnte doch jeder kandidieren: Kanzler und Ordner,
schließlich auch Richter und Protokollführer. |
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Berthold Otto selbst war vom Schülergericht
gar nicht so sehr angetan:
„Es ergab sich ... ganz von selbst, daß
der Gesamtunterricht auch die Einrichtung eines Schülergerichtes
beschließen konnte. Auch alle einzelnen Gesetze,
die für das Schülergericht bindend sind, sind
im Gesamtunterricht von den Schülern beschlossen
worden. So ist denn bei uns eine Gerichtsorganisation
zustande gekommen, die die ganze Disziplin in der Schule
in Selbstverwaltung genommen hat. Angeklagt werden allerlei
Unbilden, die die Schüler einander gegenseitig
zugefügt haben, dann aber auch Störungen des
Schulbetriebs, des Unterrichts. Die Strafen, die das
Gericht verhängt, sind – sehr gegen meine
pädagogischen Prinzipien – zum Teil Strafarbeiten.
Besonders gern läßt das Gericht Gedichte
auswendig lernen oder Aufsätze anfertigen."
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Bild: Klage
von R. Friedenthal gegen Werner Tappert, „weil
er mit einer sehr dicken Baumwurzel mich gehauen hat.
Wie leicht hätte ich da einen Schenkelbruch davontragen
und für mein Leben lang zum Krüppel gemacht
werden können!!!!"
Lesen Sie
hier
einen Bericht unserer Schülerzeitung von 1999
zum Schülergericht.
Wie ernst
die Schüler ihre Verantwortung nahmen zeigt diese
in Gedichtform verfasste Schulordnung, die in Berthhold
Ottos Nachlass gefunden wurde:
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Schülergesetze
der Berthold-Otto-Schule in Versen
Unter dem Siegel der Verschwiegenheit überreicht
den 29. Juni 1924
Verboten ist: das Stundenstören.
Das Pfeifen, das Lärmen, Schlittern im Haus.
Gehst du in den Lehrer- oder Chemieraum
Ohne Lehrer-Erlaubniß, so schmeißt man dich
raus.
Geh’ nicht in die Schulkanzlei, Boden und Heizung.
Auch in die verkehrte Garderobe nicht rein.
Auch nicht in die Radkammer. Und laß das Spielen
An Rädern und Rollern et cetera sein.
Laß ganz das Schulhaus und die Zäune.
Und kletter durch die Fenster nicht
Genau so wenig auf die Bäume
Weil da sehr leicht mal was zerbricht.
Mach dich nach Schulschluß aus dem Staube
Doch in der Schulzeit bleibe da.
Das Schneeballwerfen auf der Straße,
das laß, um Gottes Willen, ja.
Spiel nicht um Geld und andre Sachen.
Verboten ist noch manches mehr.
Gewaltsam eine Tür zu machen.
Und Fußballspielen, aber sehr!
Unnötig in dem Abtritt bleiben.
Das Spritzen mit Wasser. Und nun gib wohl acht |
Das
Werfen mit Holz und mit Sand und mit Steinen,
Das wird unter keiner Bedingung gemacht.
Mit Frühstücksüberresten schmeißen,
Das um sich werfen mit Papier,
Das Spielestören und das Handeln
Ist auch verboten, merk es dir!
Leichtfertig anzuklagen. Und das Schmieren
Am schwarzen Brett ist strafbar auch.
Nur Lehrer dürfen daran schreiben.
Und die Kanzlei: so ist der Brauch.
Verboten auch ist das Tauschen, Verkaufen
Von Briefmarken, Notgeld und ausländischem Geld.
Und einfach aus der Schule laufen
Vorm Gesamtunterricht, hätte gerade noch gefehlt!
Das Rauchen auch ist zu bestrafen.
Und auf ein fremdes Grundstück gehn.
Und das Benutzen auch von Waffen
Und Sprengstoff, ist sehr wenig schön.
Und Spielgeräte mitzubringen
Bälle, Hockeyschläger und so überhaupt.
Auch Stöcke und derartige Dinge
Im Gesamtunterricht ist auch nicht erlaubt.
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Unter-,
Mittel- und Oberkurs bauten aufeinander auf. Ein Versetzen
bzw. Sitzenbleiben wie in der in Klassen gegliederten
traditionellen Schule konnte es demnach nicht geben.
Vielmehr besuchte der Schüler den ihm gemäßen
Kurs und ging mit seinem Kurs in den nächsthöheren
über, wenn die Voraussetzungen der Leistung dafür
gegeben waren. Es gab auch keine Zeugnisse oder Klassenarbeiten
mit Benotung. Für die Unterrichtsstunde war eine
Dauer von 35 Minuten vorgesehen. Doch war nicht das
Klingelzeichen maßgebend, sondern Ermüdung
und abnehmendes Interesse am Unterricht.
Die Lehrer
mussten streng nach dem Prinzip der Isolierung der Schwierigkeiten
vorgehen und so sprechen, dass sie von den Schülern
verstanden wurden (Altersmundart),
nie aber länger bei einem Thema verharren als das
Interesse der Schüler wach war.
Otto polemisierte
gegen die strenge Verbindlichkeit des Lehrplans in den
öffentlichen Schulen. Für ihn war das jeweilige
Interesse der Schüler die Grundlage des Unterrichts.
Praktisch war Ottos Schule natürlich nicht ausschließlich
vom momentanen Interesse der Schüler bestimmt,
dies erlaubten schon nicht die angestrebten Ziele und
Abschlüsse entsprechend den anderen Schulen, aber
sie war elastisch in Bezug auf die Kurse, die nach den
Wünschen der Schüler bzw. der Eltern eingerichtet
waren. Die Unterrichtsarbeit selbst hatte notwendig
ihre Zielstrebigkeit, die aber immer wieder an das lebendige
Interesse der Schüler anknüpfte und sich nicht
starr nach der Lektionenfolge eines Plans bzw. Lehrbuches
richtete. Die traditionelle Schule dagegen beschimpfte
Otto als "Zwangsschule" und "Zuchthaus".
Seine Schule sollte demgegenüber frei sein, und
er sagte von ihr: "Die Schule war und ist, wie
ich ohne Überhebung sagen kann, die freiheitlichste
in der Welt." |
Lesen Sie hier,
wie die Schule sich seit ihrer Gründung entwickelt hat.
Wie Ottos pädagogische Prinzipien heute die Schule prägen,
erfahren Sie hier.
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